(15) MG-ungeeignetes Antibiotikum verordnet (16) LEMS-Gruppenname statt speziellen Wirkstoffnamens

 




04. Nov. 2010 / s. weiter unten: 20. + 21. Nov. 2010



"Aktueller Fehler des Monats" (November 2010) im "Fehlerberichts- und Lernsystem für Hausarztpraxen" ist die ist die Verordnung des Antibiotikums Roxithromycin bei Myasthenia gravis.




"Aufgrund der Myasthenie wird der Beipackzettel des Medikamentes (vielmehr, das, was in der Praxis-EDV als Beipackzettel angezeigt wird) sorgfältig im Beisein des Patienten Zeile für Zeile und ohne Zeitdruck durchgelesen, darin findet sich kein Warnhinweis bei Myasthenia gravis. Es wird mit dem Patienten besprochen, dass kein Warnhinweis im Beipackzettel ist."


"Etwa eine Stunde nach Einnahme kommt es zu einem Anfall von Muskelschwäche, der Notarzt wird angefordert. Im Beipackzettel des Antibiotikums (später von Angehörigen der Schachtel entnommen) steht aber der Warnhinweis, dass die Einnahme bei Myasthenie zu einer Verschlechterung führen kann."


Den vollständigen Fall und die Kommentare lesen Sie bitte unter

http://www.jeder-fehler-zaehlt.de/public/report/displaySingleReportFDM.jsp?repID=567



Einer der veröffentlichten Kommentare:


Vor der "Gesundheits"-Kosten-Krise wurde der untertänige, widerspruchabstinente Patient gefordert. Er sollte compliant  sein - naja, wenn es sein muss - bis zum Tod.

http://www.aerzteblatt.de/V4/archiv/artikel.asp?id=45812 Siehe auch Leserbrief dazu.


Wenn der Arzt jedoch fehlerhaft handelt, dann hätte der Patient halt achtsam sein müssen.

Aggressivität erfährt der Patient jedoch häufig - wie auch gelegentlich hier im Forum deutlich wird - sowohl wenn er auf Fehler hinweist, als auch wenn er Fehler duldet.


Zunächst zu dem hier vorgestellten Fall "Myasthenia gravis und Roxithromycin"


Es ist zu fragen, warum der Patient das folgende handliche Info-Büchlein der DMG, das über viele Jahre optimiert und erweitert wurde, nicht vorlegte:

Prof. Dr. F. Schumm,
ehemals Leiter der Neurolog. Klinik Christophsbad Göppingen:

"Leitfaden für Myasthenia gravis MG? und
[dahinter leider ganz klein, warum eigentlich? F.M.]
das Lambert-Eaton-Syndrom (LEMS)"
"Merkblatt für Notfälle, Erkrankungen und Medikamentengabe."

Zu beziehen ist es über die Deutsche Myasthenie Gesellschaft e.V.


Möglicherweise wusste der Patient noch gar nichts davon, oder war zu krank oder zu aufgeregt, daran zu denken


Unter "Myasthenie verstärkend - Antibiotika - Makrolide - Ketolide- ist Roxithromycin im Leitfaden verzeichnet. Es werden Ausweichpräparate genannt.


Ich selbst habe mich gerade an den Chef einer Neurologie mit Myasthenie-Zentrum und zertifiziertem Neuromuskulärem Zentrum wegen eines Routinelabors gewandt, wie es beim Lambert-Eaton-Syndrom Standard ist (aber dort nicht als erforderlich angesehen wurde).


Standard und auch für mich Mittel der Wahl zur symptomatischen (!) Behandlung ist


Amifampridin (chem.3,4-Diaminopyridin). Die max. TD von 80 mg "riskiere" ich nie.


Da ich zur Zeit der Erstdiagnose und auch später nicht eindosiert wurde, habe ich über zehn Jahre eine belastungsabhängige, über den Tag variierende Dosierung für mich herausgefunden, womit ich ganz bewusst nie die Höchstdosis erreiche.


Im Bericht (Warum nicht an die Aufttraggeberin?) steht jedoch nur der Gruppenname, nicht die genaue Bezeichnung des Wirkstoffs:


"Frau Matthiessen nimmt derzeit selbständig 60 bis 80 mg Aminopyridin pro Tag ein."


Da darf ein Notfallarzt also rätseln - sofern ihm LEMS und Aminopyridin überhaupt etwas sagen - ob er Fampridin (chem. 4-AP = spezifische Dosierung) bei LEMS toxischer wirkend, oder Amifampridin (chem. 3,4-DAP, weniger "gehirngängig") verabreichen sollte. Zudem dürfte er fatalerweise folgern: "TD 60-80mg?  Also 3-4 mal täglich 20 mg.


Freya Matthiessen

www.lems-mg.de
www.lambert-eaton-syndrom.info
www.lambert-eaton-myasthenisches-syndrom.de

 

 

 

20. + 21. Nov. 2010

 

In der Arztpraxis hatte man sich Mühe gegeben herauszufinden, ob die Anwendung von Roxythromycin beim Patienten mit Myasthenia gravis problematisch sein könnte. In der Datenbank (dem speziellen, in dieser Praxis genutzten Phrma-Daten-Service für Fachkreise) existierte kein Warnhinweis. Diese Arbeit kann natürlich von technischen Mitarbeitern problemlos geleistet werden.  Verordnet wurde das Makrolid Roxythromycin jedoch vom Arzt, der sicherlich Kenntnis von der neuromuskulär blockierende Eigenschaft von Makroliden hat, auch von sehr tüchtigen technischen Mitarbeitern wäre das zu viel verlangt.

 

Übrigens, Faustregel für LEMS- und MG-Patienten:  Bei Medikamenten, die auf "-mycin" enden, ist Vorsicht geboten, nicht alle führen jedoch zu einer Verschlimmerung der Muskelschwäche. Vergewissern Sie sich im "Blauen Leitfaden" der DMG, welche Medikamente voraussichtlich für Sie kein Problem darstellen werden.

 

"Schrecklich erschauern" braucht man zum Glück (! Ängste sind  "kontraindiziert") nicht in jedem Fall, wenn von „Anwendungsbeschränkungen" bei MG und LEMS" die Rede ist. Damit ist nicht gemeint, „VERBOTEN" Oder: „Auf keinen Fall anzuwenden", sondern „Vorsicht, das Medikament KÖNNTE die Muskelschwäche verstärken". In den Fällen, wo es eine medikamentöse Alternative gibt, sollte man diese natürlich wählen. Es gibt nur wenige Medikamente, die tatsächlich absolut „tabu" sind. Bei Mehrfacherkrankungen z.B. muss oft „jongliert" werden, wieviel dosisabhängige Verschlechterung oder geringere Besserung der einen oder der anderen Erkrankung (oder der anderen Erkrankungen) hingenommen werden muss, weil eine davon unbehandelt ein besonders hohes Risiko für den Patienten darstellt und wenn ein bestimmter Wirkstoff nicht austauschbar ist.

 

 

 


Grundsätzliches Problem nicht nur im Fall von Roxithromycin:


 

(1) Eine Reihe von Pharma-Service-Firmen konkurrieren auf dem Pharma-Info-Markt, sodass sowohl nicht alle Apotheken und auch nicht alle Ärzte auf dieselbe Datenbank zurückgreifen. Bei Roxithromycin hat es sich gezeigt, dass einige den Warnhinweis enthalten, andere nicht.

 

(2) Roxithromycin wird von verschiedenen Firmen unter diesem Namen, einem ähnlichen oder einem anderen Namen angeboten. Einige der Beipackzettel enthalten einen Warnhinweis für Myasthenia gravis, andere nicht.



Das Lambert-Eaton-Syndrom, naja ist ja Tradition, diese unwichtigen Menschen zu vergessen.
Bedauern wir uns aber bitte nicht, sondern lasst uns aufmerksam sein.

 

Überzeugen Sie sich:

 

http://www.diagnosia.com/at/medikament/roxithromycin-genericon-150-mg-filmtabletten

 

 

 

 


 

Was lernen wir daraus?

 

Wenn schon die Beipackzettel der rezeptpflichtigen Medikamente nicht immer alle Warnhinweise enthalten, entsprechend auch nicht alle Pharma-Datenbanken, dann ist besondere Vorsicht bei nicht vom Arzt verordneten rezeptfreien Mitteln geboten.