Klinik / Stress für Alle

 


Die Klinik wackelt. Autor: Narkosearzt unterwegs

 

Ich muss einen Patienten mit Lungenödem entlassen, der am Nachmittag als Notfall wieder bei uns landet. Aber ich entschuldige mich nicht mehr, wenn die Dinge in der Klinik nicht laufen – meiner Klinik, auf die ich einmal stolz war. Es reicht. Endgültig.


„ICH WARTE SEIT STUNDEN !!“
„Das kann ich verstehen, es tut mir sehr leid …“


„ICH WARTE SEIT STUNDEN !!!!!!“
„Wir hatten einen Notfall dazwischen, es tut mir sehr leid, dass Sie warten mussten, aber–“


„ICH WARTE SEIT STUNDEN !!!!!!!!!!!!!!!“
„Ich bitte um Ihr Verständnis, wir sind aktuell nur zu zweit für 12 Plätze in der Notaufnahme, es tut mir leid, aber …“


Freunde der Gesundheitszunft, hört auf, euch für Dinge zu entschuldigen, für die ihr nichts, aber auch gar nichts könnt! 


Bevor die Geschichte weiter geht, ein kurzer Einschub der Redaktion: Dieser Text greift das Thema auf, das derzeit in Münster beim Deutschen Ärztetag für Aufregung sorgt: das umstrittene Terminservice- und Versorgungsgesetz. Ärzte kritisieren, dass Spahn mit dem TSVG Druck auf sie ausübe. Doch nicht nur niedergelassene Ärzte kommen bei der Behandlung ihrer Patienten kaum hinterher. Auch in Kliniken „brennt der Baum lichterloh, wie Blogger Narkosedoc in seinem Beitrag schildert.

 


Patientenflut, Burnout und die gescheiterte 116117


Es ist nicht unsere Schuld, dass zu wenig Mitarbeiter eingestellt sind, um die unzähligen Patienten zu behandeln. Es ist nicht unsere Schuld, dass die wenigen verbliebenen Mitarbeiter unter der Last der Arbeit mit Rückenschmerzen und Burnout ausfallen. Es ist auch nicht unsere Schuld, dass die öffentliche Hand die Verteilung von Notfällen und solchen, die überhaupt keine sind, nicht hinbekommt. Die halbherzigen Versuche, über die 116117 oder den kassenärztlichen Notdienst die Notaufnahmen zu entlasten, scheitern an so vielen Seiten – und das ist nicht unsere Schuld. 


Die ewigen und immergleichen Entschuldigungen helfen niemandem und schaden uns selbst ganz direkt. Sie folgen einer ganz simplen Logik, wir möchten durch das Aussprechen von Entschuldigungen deeskalieren. Wir wollen keinen Stress am Arbeitsplatz, wir möchten ein einziges Mal einen ruhigen Dienst erleben und wenn der um 14 Uhr beginnt, ist der Traum meist um 14:20 Uhr zum ersten Mal geplatzt. 


Wir versuchen es aber weiter, wollen aufgebrachte Patienten besänftigen, randalierende Betrunkene sollen unsere ZNA nicht kaputt machen. Außerdem möchten wir, dass die Patienten sagen: Hier wurde mir gut geholfen, die haben klasse Arbeit gemacht. Wir wollen stolz auf unsere Arbeit sein und wir möchten nicht, dass Patienten schlecht gelaunt sind.


Falscher Optimismus in der Teppichabteilung

Wenn wir mit immer weniger Personal auch noch die x-te Schicht übernehmen, Überstunden machen, uns die Hacken abrennen und auf Pausen verzichten – alles nur, um den Patienten bestmöglich zu helfen, dann führt das nur zu einer einzigen Konsequenz: „Da oben“ wird man denken: Na geht doch! Und zack, werden gleich nochmal die Personalpläne für 2020 etwas zurecht gestutzt. Ging ja irgendwie, auch mit weniger Mitarbeitern.


Wir bringen Kaffee, reichen Wasser, Getränkegutscheine für die Cafeteria, es tut uns sehr leid, bitte haben Sie Verständnis. Und genau das ist im Sinne der Geschäftsführung, die mit immer weniger Geld versuchen müssen, den Laden auf Teufel komm raus am Laufen zu halten. Sie musste ja aufgrund knapper Gelder und des negativen Jahresabschlusses vom Vorjahr vor allem Personal streichen, um Geld zu sparen. Mit nichts lässt sich besser Geld sparen als durch Stellenstreichung.


Das geht ganz heimlich, still und leise über sogenannte sozialverträgliche Maßnahmen. Mitarbeiter geht in Rente, Stelle wird nicht nachbesetzt. Mitarbeiterin wird schwanger? Einfach keine Vertretung einstellen und das Geld für das Berufsverbot von der Versicherung einstreichen. Lohnt sich doppelt, müssen die übrig gebliebenen Kollegen sich die Dienste eben aufteilen.


Umso schöner, wenn genau die Leute, die unter der Last der Arbeit zusammenbrechen, sich auch noch für die schlechten Verhältnisse entschuldigen. Etwa so viel kommt davon in der Teppichabteilung an: Nichts. Gar nichts.


Die Geschäftsführung? Lebt drüben im Elfenbeinturm


In jedem Krankenhaus, in dem ich bis jetzt gearbeitet habe, war die Verwaltung, die Pflegedirektion, Personalabteilung und die Geschäftsführung in einem separaten Gebäude untergebracht. Meist recht idyllisch am Klinikpark gelegen, mit bodentiefen Glasfenstern. Oder ganz oben auf dem Dach, hinter verspiegelten Panoramafenstern und dem weiten Blick übers Ländle.


Schimpfende Angehörige, die sich über stundenlange Wartezeiten beschweren? Hört man hier nicht.


Die lassen ihre Wut an denen aus, die schon wieder keine Mittagspause hatten, die ständig das Gefühl haben, keinem gerecht zu werden. Die den Patienten notdürftig entkleiden (müssen die dann im OP machen …) oder mit Prothese (keine Zahnboxen mehr da!) und ohne Prämedikation (vergessen!) in die Schleuse schieben. Immer mit einem Grummeln im Bauch, weil man schlechte Arbeit abgeliefert hat, eigentlich weiß, wie es besser ginge und es gerne auch besser machen würde, aber keine Zeit, keine Zeit.


Jahr für Jahr „schaffen“ wir es irgendwie


Wir entschuldigen uns bei den Kollegen, bei den Patienten, bei den Angehörigen.
Die Personalabteilung freut sich derweil: über 10 Prozent weniger Pflegekräfte in diesem Jahr und trotzdem haben wir es „geschafft“. Und die Geschäftsführung freut sich über geringere Personalkosten und dass am Jahresende doch noch die schwarze Null geschafft wurde. Die QM-Abteilung redet uns ein, dass das alles ohne Qualitätseinbußen geht, die CIRS-Briefkästen haben sie aber trotzdem mal lieber abgehängt. Machen ja auch nur Arbeit, diese Zettel.


Genau dieses ewige Beschwichtigen, Wogenglätten und Glattbügeln ist im Sinne der demokratisch gewählten Entscheider in den Landtagen und im Bundestag, die über Gelder verfügen, mit denen man in dringend benötigte Baumaßnahmen in Krankenhäuser investieren könnte. Genau das ist es, was den Krankenkassen gefällt. Die sitzen schön weit weg von der proppevollen Notaufnahme in ihren Bürotürmen und rechnen sich die Zahlen schick. Tackern, lochen, abheften – Hauptsache, ein fettes schwarzes Plus am Ende des Jahres.


Hauptsache, da steht irgendein Name


Warum entschuldigen wir uns also ständig für alles? Weil wir dazu erzogen wurden, zu helfen. Weil wir immer alles glatt bügeln und im wahrsten Sinne des Wortes alles wieder gut machen wollen. Die Wunde, die Schmerzen, die Aufregung, den Ärger. Das ist unser Job, dafür wurden wir ausgebildet.


Ich möchte mich nicht dafür entschuldigen, dass ein Patient am Vormittag im Lungenödem entlassen wird und ich ihn als Notarzt nachmittags wieder mit in die Klinik mitnehmen muss. Meine Klinik. Die Klinik, auf die ich mal stolz war, die mittlerweile wie fast alle Krankenhäuser einen schlechten Ruf hat und über die es heißt, „Die Schwestern und Pfleger sind unfreundlich und unfähig und die Ärzte kommen nie vorbei“. Wir schreiben Leute auf den Dienstplan, die überhaupt nicht geeignet sind für Bereitschaftsdienste. Ich weise darauf hin, werde korrigiert und die Leitung sagt mir, dass es denen egal ist, Hauptsache da steht irgendein Name.


Keine Lust mehr auf Entschuldigungen


Ich entschuldige mich nicht mehr. Ich empfehle den Patienten, zum Beschwerdemanagement zu gehen. Ein Termin bei der Geschäftsführung, bei der Pflegedirektion, bei ihrem Landtagsabgeordneten oder Bundestagsabgeordneten. Richten Sie ihre Beschwerde an diejenigen, die es nicht hören wollen. Diejenigen, die es immer noch nicht verstanden haben, wie lichterloh der Baum brennt. Wir haben es oft genug gesagt, haben ausgeholfen, sind für Dienste eingesprungen, haben Überstunden gemacht. Ich kann die Beschwerden nicht mehr hören.

© Copyright 29.05.2019

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